Trauer verändert.

Vor mir in der Therapiestunde saß eine gebrochene Frau. Unfähig zu lächeln, ohne jede Energie. Voller Trauer. Depressiv. Meine Frage nach Gefühlen konnte sie nicht beantworten. Sie fühle nichts. Einerseits könne sie ihren Zustand nicht mehr aushalten und wolle etwas verändern, andererseits war es ihr nicht möglich, ihre Trauer in Worte zu fassen.

Im Lauf der Stunde fragte ich sie, ob sie Lust habe, das "Nichts" zu gestalten. Anfangs war eine große Ratlosigkeit in ihr, dennoch war sie bereit, es zu versuchen, ihren Zustand empfand sie selbst als unerträglich.

 

Ich bat sie, sich keinen Druck bzgl. der Farben und eines Ergebnisses zu machen und einfach irgendwo mit einer Stelle anzufangen, zu kritzeln oder Farben aufzubringen, nichts müsse einen Sinn ergeben. Plötzlich zeichnete sie einen Kreis, der farblos blieb und um den Kreis herum entstand ein Farbenmeer, auf das sie, wie sie später sagte, gerade "keinerlei Zugriff mehr habe". Das Bunte repräsentierte für sie das Leben, dass "irgendwo draußen" anscheinend weitergehe, aber in ihr sei alles tot, leer, gefühllos.

 

Als sie darüber sprach, lösten sich endlich die Tränen und sie empfand eine große Erleichterung darüber. Auf einmal konnte sie sprechen und es sprudelte aus ihr heraus. Wesentlich leichter ging sie nach Hause.

 

Das Gefühl der Gefühllosigkeit kann ein wichtiges Merkmal einer Depression sein, wobei dann in der Regel noch andere Kriterien dazu kommen.

Typisches Empfinden ist oft Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung oder eben das Gefühl der Gefühllosigkeit. Letzteres stellt eine besondere Belastung dar. Auch Angstgefühle, Unsicherheit und Zukunftsangst, Schlafstörungen, Appetitverlust, leichte Irritierbarkeit und Überforderung, ein  "Morgentief" mit schlechter Stimmung oder ein Abendtief sind u.a. möglich.

 

Während Freude und Familie Trauernde oft bestärken wollen, dass das Leben weitergehe, um sie "auf andere Gedanken zu bringen", empfindet der/die  Betroffene meist Stillstand in der eigenen Welt und kann sich auch nicht vorstellen, dass sich das jemals wieder ändern werde. Versuche, Betroffene abzulenken oder zu motivieren, nach vorne zu sehen, sind wenig sinnvoll.

 

In der Trauer reagieren Menschen sehr unterschiedlich. Während die einen nicht aufhören wollen zu sprechen, ziehen andere sich total zurück, weinen oder schreien, erstarren, werden depressiv, wollen nicht mehr allein sein oder verhalten sich nochmals ganz anders. Die unterschiedlichsten Reaktionen sind möglich. Auch gibt es kulturell sehr starke Unterschiede, wie Trauer Ausdruck findet. Und alles hat seine Berechtigung.

 

Nicht nur die Gedanken und die Seele sind betroffen, auch der Körper reagiert auf Trauer. Diese Leere schützt davor, von riesigen schweren Gefühlen wie von einer Welle überflutet zu werden und das ist erst einmal eine sinnvolle Schutzreaktion. Andererseits kann es aber auch Symptom einer starken Depression sein, die sich "festgesetzt" hat. Dies gilt es zu unterscheiden und ggf. zu behandeln.

 

Wichtig ist in jedem Fall, damit nicht allein zu bleiben.

 

Fachexperten  wie z.B. HausärztInnen, PsychiaterInnen oder HeilpraktikerInnen für Psychotherapie können mit Ihnen zusammen herausfinden, ob es sich um eine "normale" Trauerreaktion handelt, die sich in Phasen entwickelt und in der Regel irgendwann abklingt oder ob sofortiger Handlungsbedarf besteht.

 

Die Phasen der Trauer hat Elisabeth Kübler-Ross ausführlich beschrieben.

Sie beginnen mit Verdrängung, wandeln sich in Wut und starke Emotionen, irgendwann beginnt die Phase der "Verhandlung mit dem Schicksal", es folgt der Übergang in Verzweiflung und mündet bei einem gelungenen Trauerprozess in Akzeptanz. Allerdings wechseln sich die Phasen ab und verlaufen nicht immer nur in dieser Reihenfolge. Auch dabei ist eine Begleitung sinnvoll, da sie den Prozess erleichtert und verkürzen kann.

 

Eine handfeste Depression dagegen kann sich verändern und schlimmer werden, sogar Suizidgedanken hervorrufen, die dann wiederum eine gefährliche  Eigendynamik erzeugen. 

 

 

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